Parfümerien mit Persönlichkeit

Wie Haare aus beider Geschlechter Beine spriessen sie aus den Magazinen: die Textblüten der Kosmetikindustrie. Um auf keinen Fall auszutrocknen, versuchen die Creme-Hersteller, ihre Werbeversprechen mit Wortgewalt zu regenerieren. Dabei betreiben sie, ihrem Namen Ehre machend, viel Textkosmetik ‒ auf höchstem Photoshop-Niveau, wie sie selbst zugeben.

Ein dunkler Lidschatten liegt über Tonika und Lotionen, Cremes und royalen Gelees: Damit sie ewig jung wirken, muss ständig neuer Text her. Biotherm setzt die Messlatte parfümpreishoch und erfindet Wörter, die jeden Schönheitschirurgen das Skalpell in den offenen Stirnfaltenstraffungs-Schlitz fallen lassen (ja, auch wir weltlichen Werbetexter erfinden bei Ihrem Bedarf gerne neue Wörter).

Die Zeit ist auf Ihrer Seite. Der Texter hoffentlich auch.

Zartschmelzender Genusstext, erhältlich in den Parfümerien mit Persönlichkeit.

Der Griff in die grosse Textdose beginnt mit dem Auftragen einer ‒ noch etwas matten ‒ Grundierung: «Erleben Sie Biotherm in den Parfümerien mit Persönlichkeit.» Was damit genau gemeint ist, dürfte den meisten lesenden Persönlichkeiten ein Rätsel bleiben.

Einmal warm geschrieben, langt der Texter bzw. die Texterin zunehmend tiefer und ungenierter ins Fetttöpfchen. Mag die «optimale Blue Therapy» noch dem Produktnamen geschuldet sein, trägt der «seidige Beschleuniger» mit seiner «zartschmelzenden, seidigen Genusstextur» dick auf die reife Haut auf. Nicht mehr nur die Zeit ist auf der Seite der sich regenerierenden Frau, ein «cleverer Bodyguard» ist es jetzt ebenso. Allerdings mit einem etwas schwach dotierten Lichtschutzfaktor 15. Selbiger dürfte auf den Ursprung als «cremiger Klassiker» zurückzuführen sein, verstrahlte doch die Sonne zu Mozarts Zeiten die elfengleiche Haut eines Komponisten noch nicht mit so gnadenloser Brühkraft wie zu Lady Gagas diejenige einer Komponistin. Und so führt der schwache Lichtschutz unweigerlich zu Falten. Umso erfreulicher, dass ein «straffendes Samtkleid» mit «sofortigem Weichzeichnereffekt» sie umgehend wieder ausbügelt.

Ein finales Versprechen schraubt dem Kosmetik-Pott den Deckel endgültig ab: «Photoshop im Tiegel». Will heissen: Photoshop war gestern, mit Biotherm kleistert sich die gestraf(f)te Frau eine Genusstextur ins Gesicht, dass jeder, der ihr begegnet, wähnt, sie sei direkt dem Monitor eines Grafikers entstiegen, der soeben seine dreitägige Revisionsarbeit am Cover-Model der neuen Vogue vollendet hat. Nie war Virtual Reality näher am und auf dem Menschen.

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